3. Ideologische Programmierung

 

Im Gegensatz zur Diktatur ist die Demokratie gezwungen, Überzeugungsarbeit zu leisten. Sie bedurfte dazu bislang der herkömmlichen Medien, um ´Entscheidungen als transparent darzustellen´ (vgl. Preikschat 1987, 59). Die Neuen Medien nun fallen mit der demokratischen Transparanzvermittlung zusammen: Sie sind der pool, in dem die Überzeugungen ausgehandelt werden. Vollzog sich das unmittelbare ´Miteinander Reden´ vor der Erfindung der Schrift in einem extrem medienarmen Raum, und knüpften es die herkömmlichen Medien an die einseitigen Informierungsstrategien, die unmittelbare Antworten außen vor ließen, so gibt es erst im Digital wieder eine unmittelbare Kommunikation - diesmal im Medium. Das rein körperliche ´Miteinander Reden´ erscheint angesichts der Digitalkommunikation banal und irrelevant. Obgleich die ´freie Rede´ in ihm garantiert ist, erfolgt sie nun unter dem Zwang der apparatischen Anschlußbedingungen. Die Neuen Technologien befriedigen also nicht nur moderne Kommunikationsbedürfnisse und sie schaffen nicht nur neue Kommunikationsbedürfnisse, sondern scheinen im Unsichtbaren der Black Boxes auch ´neue Herrschaftsstrukturen´ aufzubauen (vgl. Bülow 1994, 506). 

  Die ´freie Rede´ ist im Digital gekoppelt an eine Ideologie der Offenheit. Je ungehindeter der Informationsaustausch, desto besser. Datenschutz ist eine Komputations- und Kommunikationsbremse, denn Information soll sich preisgeben. Sie verläßt die Privatsphäre und wird sogar weltweit transparant. Der Nutzer, gut konditioniert, sich den ´geselligen´ Apparaten anzuvertrauen und deren Funktionsfähigkeit interaktiv mit seinem Wissen zu optimieren, outet sich im digital chat weit öffentlicher als es bislang überhaupt möglich war. Das globale Dorf will keine Geheimnisse. Doch jeder, der im Digital die Tasten drückt, hinterläßt Spuren. So schwierig es dem Nutzer ist, die Black Boxes der Apparate im Netz zu durchschauen, den Boxes selbst ist es umgekehrt leicht, den Nutzer zu durchschauen. Die Werbetaktik, derzufolge das Digital nichts vergißt, verkehrt sich auf fatale Weise, denn "der Beobachter des Systems wird durch das System selbst beobachtet" (Pichler 1990, 80f). "Telepräsenz heißt auch Teleüberwachung" (Rötzer 1995, 189).[1]

Doch wer überwacht? Zwar sind die Informationen transparent, die sich in den Netzen verteilen, nicht aber die Informierungsstrukturen, die die Daten koordinieren. Da das Netz ein Niemand ist, kann es - theoretisch - dieser Niemand sein, der den Nutzer beobachtet. Das Netz ist ein grenzenlos ortloses ´Es, das kommuniziert´ (vgl. Baudrillard 1992, 20). Es ist weder ansprechbar noch befragbar. Obwohl alle Nutzer Verantwortung für das Netz tragen, ist, wie heute in Bürokratien, kein Einzelner konkret verantwortlich. Ich kann mich an keine Politiker wenden (um sie beispielsweise zu stürzen), da es telematisch keine mehr gibt. Sich also an eine Hauptinstanz des Netzes, an ein Logistikzentrum des ´Übergehirns´ zu wenden, ist unmöglich. Damit fällt auch der potentielle Adressat der Macht aus: Das anonyme ´Es´ scheint geradezu gottgegeben.

Wer das ´Meta´ des Netzes finden will, wer den Weg, den eine Informationen ging, zurückverfolgen will und wer nach dem Sitz einer mutmaßlichen Macht fragt, wird an die ´suche-und-finde´-Optionen und an die ´Demokratie des Programmierens´ verwiesen. Die Fragen und Antworten werden zwar kollektiv und automatisch verarbeitet, doch weshalb sie so und nicht anders gesucht und gefunden werden, wird nicht transparent. Es ist sowohl unklar, ´welchen Teil des Netzes die Such-Engines auswerten´, als auch, ´welche Strategien es gibt, um innerhalb der Engines möglichst gut repräsentiert zu sein´ (vgl. Winkler 1997, 373). Nur wer die Regeln der Programme durchschaut, findet Einblick in die Gründe ihres Soseins. Derjenige also, der die Regeln festlegt, sitzt am zentralen Hebel: Macht manifestiert sich dort, wo die Informationsverteilung programmiert wird. Wird die Presse heute als die vierte Macht im Staat bezeichnet, so ist im Digital der Programmierer an vorderster Front tätig. Der ´Programmanager´ scheint sogar an die Stelle des Politikers zu treten, da er den Informationsfluß programmiert und lenkt und damit auch über die im Netz sich vollziehenden Entscheidungen entscheidet. ´Nicht der Besitzer, der Programmierer der Information ist der Mächtige. Neo-Imperialismus´ nennt Flusser die Gefahr der Informationsokkupaktion durch ´unsichtbare Dritte´, die hinter den Kulissen die Programme programmieren (vgl. 1992b, 47).

´Alle Macht den Programmierern´ scheint ein unausgesprochener telematischer Imperativ zu sein. Vor allem derjenige ist kompetent, der das ´Informationsgewitter´ nicht nur filtert, sondern die Filterung auf der Programmebene festlegt. Eine ´neue Hierarchie der Programmiersprachen´ scheint das Alltagssprachliche zu prägen (vgl. Kittler 1993, 228). Kittler weist darauf hin, daß jedes Anwendungsprogramm im Bereich des Mikroprozessorsystems ´elementare Funktionen aus Sicherheitsgründen in Silizium brennt und unzugänglich macht´ (vgl. ebd. 231). Bloße Voreinstellungen würden als Absolutheiten verkauft und durch Informationssperren unnachvollziebar gemacht (vgl. 221). Die Software also läßt den Nutzer gar nicht erst an die Programmebene heran (vgl. 208), sie verhindert, daß die Programmierung durchschaubar ist: "Die Macht hat mit ihrem Umzug aus Vorzimmern und Alltagssprachen in den Mikrometerbereich auch die Angriffsflächen verändert" (217), sie bezieht ihre Privilegebenen aus ´stummer Wirksamkeit´ und als ´Macht, die sich auf ihre Zugangsbedingungen reduzieren läßt´ (vgl. 215). Derart zum ´Untertan der Software Corporation´ (vgl. 208) wird der Nutzer zu einem Informationsproletarier, der nicht einmal mehr wissen kann, weshalb er inkompetent ist.

Was aber, wenn eine ´Oberschicht´ von Programmierern auch die Inhalts- und Dialogebene der Programme auf einer Metaebene ideologisch bestimmte? Ideologische Programmierung könnte hierarchisch über der heterarchischen Netzstruktur wirken, sie könnte das gesamte Netz in Mitleidenschaft ziehen, ohne identifizierbar zu sein. Die Visionen um die Netzkultur würden zunichte, gäbe es unsichtbare ideologische Spinnen im Netz. "Sobald eine kleine Gruppe beherrscht, was aus allen hervorgeht", so Lévy, sei ´der engelhafte Charakter der virtuellen Welt zerstört´ (vgl. 1997, 112). Die Wette, daß hierarchische Macht obsolet sei, wäre alles andere als gewonnen. Ein derartiges Netz jenseits des Netzes herrschte als eine ´zweite Potenz´ im Virtuellen, als ein über das Digital verteiltes Logistikzentrum, das dem Virtuellen ´ersten Grades´ unzugänglich ist. Wenn telematisch gilt, daß "nicht mehr durchgelassen wird, was informativ ist, sondern daß informativ ist, was  durchgelassen wurde" (Flusser 1990, 103), reichte bereits die kleinste ideologische Spinne, die dialogische Informierung unbemerkt in eine einweggerichtete umzubiegen - weit intensiver und unbemerkbarer als in den herkömmlichen Medien.

Da angeblich alle Netznutzer gemeinsam die Netzinhalte bestimmen, die folglich ein Alles und Niemand sind, mag sich ein ´Dritter´ ob dieses Glaubens freuen und wider besseren Allgemeinwissens einige ideologische ´Korrekturen´ vornehmen. Alles Subversive ließe sich programmatisch aussortieren.[2] Postman warnt, wir würden ´blind für die ideologische Bedeutung unserer Technologien´ (vgl. 1992, 104). Im Digital verschwände Macht derart, daß von Macht oder Ideologie gar keine Rede mehr sein müßte, da sie sich, nachdem sie obsolet erklärt wurde, in den Bildern und den Komputationsoptionen selbst nicht zeigen müßte. Kraft der Simulation ließen sich sogar Dialoge simulieren. Nutzern, die an ihnen teilnehmen, würden sie so ´echt´ erscheinen wie die in sinfonischer Wechselseitigkeit entstehenden Dialoge. Ebenso läßt sich ´gender-hopping´, das Spiel des Vortäuschens des anderen Geschlechts, industialisieren. Die ´Freiheit, mit realen Nutzern zu kommunizieren´, wäre totalitär gekoppelt an die Unmöglichkeit, die ´Unfreiheit´ durchschauen zu können, daß man es mit Simulationen zu tun hat. Frei sein hieße, wider besseres Wissen an die Telematie als gesellschaftliches Forum zu glauben, glauben zu müssen. - Allein der Turing-Test oder blade runners könnten die Niedrigkomplexität entlarven. 

Information, gebunden an ideologische Justierung, also ist der Telematie ein Unsicherheitsfaktor höchsten Grades. Unsicherheitsfaktoren höchsten Grades sind aber auch und gerade die gegenwärtigen Formen des Kapitalismus und der Demokratie, da beide auf Machtverhältnissen bauen und ideologische Spinnen legitimieren: Telematie ist im Kapitalismus nicht denkbar, da er die ´freie´ Bildherstellung unter das Diktat der Bildvermarkung stellt. R. Barbrook & A. Cameron sprechen diesbezüglich von ´rückwärts gerichtetem Futurismus´. "Anstatt offen gegen das System zu rebellieren, akzeptierten diese High-Tech-Handwerker jetzt, daß individuelle Freiheit nur unter den Bedingungen des technischen Fortschritts und des ´freien Marktes´ erreicht werden kann" (vgl. 1996, 61f). Ebenso stehen parteigebundene Interessenverhältnisse einer ´direkten Demokratie´ im Wege. Parteien sind zwangsläufig daran interessiert, die Netzstrukturen zu ihren Gunsten umzubiegen und programmatisch zu besetzen. Wie also soll die verantwortungsvolle Basisdemokratie im Virtuellen des Netzes funktionieren, wenn sie schon im Hier und Heute nicht klappt? Die Telematie wird gepriesen als ein Geschenk an herrschaftsfreie Wesen. Die Rechnung wird ohne die politische Gemengelage und ohne die Auflagen der Marktwirtschaft: ohne die Gegenwart gemacht. Im Bermudadreieck von Technikgläubigkeit, Kommerz und Ideologie wartet die Telematie auf bessere Zeiten.

 



[1]Längst sind in den Netzen digitale ´Agenten´ auf der Suche nach den Leidenschaften, Parteibüchern oder Fußpilzerkrankungen der Nutzer. Im Auftrag von Informationsdiensten werden detaillierte Kundenprofile erstellt und an Werbeagenturen verkauft. Es ist nicht einmal auszuschließen, daß sogar der digitale ´persönliche Freund´ oder der Home PC ein ´persönlicher Spion´ der Wirtschaft ist.

[2]Ohnehin ist im Netz nur Realität, was Eingang gefunden hat. Alles andere wird nicht existieren. Sollte aber eine wie auch immer zu lokalisierende kollektive Mehrheit oder Minderheit als Inkognitoinstanz beispielsweise meine Zugangsberechtigugen kappen, gäbe es, da es telematisch keine Konkurrenzmedien mehr gibt, nicht nur keine Instanz, die meinen Protest erhören würde: ich würde inexistent zum drop out gemacht sein. Mehr denn je aber blieben diese Machtmechanismen im Verborgenen, sie verschwänden im incognito der Metaprogrammierung.

 

 

 

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